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Inhalt der Ausgabe 02/2022

Inhalt

Inhaltsverzeichnis/Impressum

Aufsätze

Ich enmac niht gar benennen sie.

In Wolframs von Eschenbach ‚Willehalm‘ finden sich über 400 Namen, vorwiegend Personennamen. Dabei folgt der Autor einer erkennbaren Poetik. Namen erhalten vor allem christliche Fürsten und muslimische Könige, die nahezu durchweg positiv gesehen werden; weitere männliche Figuren, die ausnahmsweise Namen erhalten, sind Personen, die Wolfram offenbar besonders wegen ihrer Verdienste hervorheben wollte. Namenlos bleiben muslimische Fürsten, vor allem wohl, weil ihre Zahl unüberschaubar ist, ferner die zahllosen einfachen Kämpfer in den beiden Schlachten, sowie positiv oder auch negativ gesehene sonstige Nebenfiguren ohne Zugehörigkeit zum hohen Adel. Weibliche Figuren versah Wolfram nur in drei Fällen mit Namen, selbst die Königin von Frankreich, Willehalms Schwester, die sich Willehalm zunächst in den Weg stellt, bleibt wohl deshalb namenlos. Namen tragen nur Willehelms Frau Gyburc, seine Mutter Irmschart und seine Nichte Alyze, die Tochter der Königin von Frankreich.

Wigalois liest ‚Eneas‘

Der vorliegende Beitrag befasst sich mit einer Leseszene im ‚Wigalois‘ Wirnts von Grafenberg. Auf seinem Aventüreweg besiegt Wigalois den Roten Ritter Hojir von Mansfeld und gewinnt damit den Schönheitspreis zurück, den der Rote Ritter Elamie von Tyrus geraubt hatte. Im Rahmen dieser Aventüre trifft Wigalois auf die Cousine Elamies, die sich in ihrem Zelt die Geschichte von Eneas vorlesen lässt. Die knappe Zusammenfassung der Eneas-Geschichte, die mitgeteilt wird, legt den Schwerpunkt auf die Dido-Episode. Über diese intertextuelle Bezugnahme, die in einen Nexus weiterer intertextueller Referenzen eingewoben ist, wird Elamie von Tyrus als falsche Partnerin für Wigalois ausgewiesen, und zwar sowohl für die Rezipienten als auch für Wigalois selbst.

Leben wie ein Salamander, Sterben wie ein Pelikan. Zur Überbietung und Überschreitung der Minnesang- Tradition mittels Tiervergleichen in Heinrichs von Mügeln Liebesliedern 4, 6 und 7 (XVI, 393–395, 399–401 und 402–404)

In den Liebesliedern Heinrichs von Mügeln stellen Tiervergleiche ein zentrales Mittel der Darstellung und Verhandlung von Liebe dar. Sie stehen einerseits in der ‚Physiologus‘- Tradition und variieren andererseits, etwa im Falle der Falkenmetaphorik, Motive der höfischen Literatur. Der Umgang mit ihnen ist kennzeichnend für den Anspruch des Dichters auf poetische Meisterschaft, der sich in kunstvoller Rhetorik, breiter Traditionskenntnis und dem Einbezug gelehrten Wissens manifestiert. Der Beitrag argumentiert, dass die in den Liedern integrierten Wissensbestände nicht nur Ausdruck der Gelehrsamkeit des Dichters sind, sondern dass die Ausgestaltung der Tiervergleiche signifikante Implikationen für die Konzeption der Liebe hat, die über die Konventionen der Minnesang-Tradition hinausgehen.

The Representation of Teaching in the Anglo-American Tradition: Opportunities for Intercultural Learning and Teacher Training

This paper is the second installment of a two-part contribution examining the representation of teaching in Germany and the Anglo-American world. In contrast to the German tradition (Archiv, 259:1), the Anglo-American tradition replaces the ideal of Bildung with the supposed reality of “Gradgrind”, the “system focus” with a “teacher focus”, and the affirmative conservatism with a potential for transformation based on creativity, “life lessons” and meaningful interaction. The tradition thus offers possible pathways to the actual achievement of Bildung, while in itself lacking a direct equivalent to the German concept. These differences are interesting for intercultural learning. They are of particular relevance for teacher training in the Anglo-American world and, even more so, in Germany – provided that the neglect of the teaching environment can be compensated for.

The Role of Shakespeare in W. B. Yeats’s Irish Theatre: Diarmuid and Grania (1901) and Beyond

After the downfall of Charles Stewart Parnell in 1890, W. B. Yeats was engaged in a series of cultural projects and sought to construct a new Irish identity not through parliamentary politics but by revitalizing indigenous art and literature. The Irish Literary Theatre (1899–1901), which the poet cofounded with Augusta Gregory, Edward Martyn, and George Moore, was one of them. Curiously enough, Shakespeare played a small but significant part in the theatrical discourse that would help transform the Literary Theatre into the Abbey Theatre (1904-).

Der Teufel und die beste aller möglichen Welten: Calderón und Goethe

Wenn das Vollkommene alles bestimmt, wo bleibt dann Platz für den Teufel? So könnte man das Grundproblem der Theodizee formulieren, das ausführlich im spanischen 17. Jahrhundert erörtert wurde. Zwei Jesuiten aus Sevilla, Diego Ruiz de Montoya und Diego Granado, sind Vorläufer von Leibniz’ Vorstellung, dass Gott das will und auch immer tut, was im Hinblick auf das Universum besser und vernünftiger ist. Diese soll zunächst mit ihren antiken und mittelalterlichen ideengeschichtlichen Implikationen vorgestellt werden. Im 18. Jahrhundert kritisierte Voltaires Candide (1759) Leibniz. – Gern wird in der Literatur auf den Teufel zurückgegriffen, wenn es darum geht, im Vertrauen auf dessen überlegene Macht und umfassenderes Wissen unüberwindlich erscheinende Hindernisse aus dem Weg zu räumen.

«O Hommes! arrestez-vous icy» – Über erreur und errance in den Einleitungen zu Charles Sorels Science Universelle (1634–1668)

Charles Sorels vierbändige Enzyklopädie mit dem Titel Science Universelle wird von mehreren avant-discours eingeleitet, die auf den Titel, die Methode und das generelle Irren seiner Zeitgenoss*innen eingehen. Die zentralen Begriffe in diesem Zusammenhang sind «erreur» bzw. «errance», die Sorel an die «expérience» genau wie an die «volonté» knüpft und durch eine «remontrance» rügt. Sorel inszeniert sich in diesen Einleitungen als Enzyklopädist, der manchmal als Lehrer und manchmal als Prediger erscheint, wobei er sich der Methoden des scharlatanesken Sprechens bedient, um die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer*innen auf sich zu ziehen und zu halten.

«Mais j’ai déjà raconté tout ça…»: Zur Funktion simulierter Mündlichkeit in Claude Simons Roman Le Jardin des Plantes

In den in seinem Roman Le Jardin des Plantes enthaltenen Interviewszenen inszeniert Claude Simon eine Gesprächssituation zwischen einem Journalisten und einem Schriftsteller, der seine Erfahrungen als Soldat im Zweiten Weltkrieg schildert. Es handelt sich um Textpassagen, die mündliche Dialoge in Interviewsituationen simulieren. Im Vordergrund steht dabei die Frage nach der Kommunizierbarkeit persönlicher Erinnerungen und Gefühle im Allgemeinen sowie der Versprachlichung traumatischer Erfahrungen im Speziellen. Simon problematisiert durch die Verschränkung und Kontrastierung solcher Passagen mit anderen, intertextuell und autobiographisch codierten Episoden die sprachlichen und ästhetischen Ausgestaltungsmöglichkeiten von Erinnerung.

«Comme vous êtes loin, paradis parfumé». Dem Kindesschmerz das Wort geben in Liliana Corobcas Der erste Horizont meines Lebens

Die Texte von Liliana Corobca zeugen, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, von den erlittenen Traumata aufgrund von sozialen und historischen Ungerechtigkeiten. Anhand von Familienepisoden aus einem moldawischen Dorf zeichnet der Roman Der erste Horizont meines Lebens (2013, deutsche Übersetzung 2015) nach, wie die Kinderfiguren mit Kummer und Schmerz umgehen, während sie mit den Folgen der langandauernden Abwesenheit ihrer Eltern von zu Hause kämpfen. Das Leid der Kinder legt die prekäre soziale Situation der von Armut und Arbeitsmigration zerrissenen Republik Moldau dar, die zur trostlosen Seelenlandschaft der allein zurückgelassenen Kinder wird, in der ihr Elend eingraviert ist. Ausgangspunkt für die Interpretation des Buchs Corobcas sind theoretische Überlegungen von Augustinus zu Schmerz und Leid sowie dessen Ansichten über die Erbsünde und die Notwendigkeit der Erlösung, um aus diesem Grundgedanken heraus die im Roman festgehaltenen Wunden zu erkunden.

Besprechungen / Allgemeines

Bodo Plachta: Editionswissenschaft: Handbuch zu Geschichte, Methode und Praxis der neugermanistischen Edition. Stuttgart: Anton Hiersemann, 2020.

Wenn man sich mit Editionswissenschaft im deutschsprachigen Raum befasst, kommt man an Bodo Plachta nicht vorbei. Sein 1997 erstmals erschienenes knappes Reclam-Heftchen Editionswissenschaft ist eine wegweisende Einführung in Methode und Praxis der Edition neuerer Texte und gilt als wirkmächtiges Standardwerk in diesem kleinen, aber florierenden Wissenschaftszweig. Es erlebte seither mehrere revidierte Neuauflagen und Nachdrucke. Jeder Editionsanfänger hat es wohl immer griffbereit in der Schreibtischschublade liegen und nutzt es als Fibel und Nachschlagewerk bei der praktischen Arbeit. Viele Studierende der (germanistischen) Literaturwissenschaft, aber auch Sprachwissenschaftler, Literaturtheoretiker und sogar Historiker nutzten es in den vergangenen Jahrzehnten als Schlüssel in ein sich immer weiter etablierendes und institutionalisierendes (Hilfs?)Wissenschaftsgebiet, das von tiefen Grabenkämpfen geprägt ist, durch welche Plachta Schneisen schlägt, um gegenseitiges Verständnis werbend.

Paul Eggert: The Work and the Reader in Literary Studies. Scholarly Editing and Book History. Cambridge: Cambridge University Press, 2019. Pp. x + 242. Hardback £ 75.00.

Zehn Jahre nach dem interdisziplinären Zugriff auf den Umgang mit dem Überlieferten in Securing the Past. Conservation in Art, Architecture and Literature (2009) legt der australische Editor und Literaturwissenschaftler Paul Eggert mit The Work and the Reader in Literary Studies nicht nur einen erneuten fachlichen Brückenschlag nun zwischen Editorik und Buchgeschichte vor, sondern eine weit darüber hinausreichende editionstheoretisch grundierte und mit erläuternden Beispielen versehene Abhandlung, deren größeres Ziel in einer Wiederannäherung von Editorik und interpretierender Literaturwissenschaft besteht. Als Tertium comparationis beider Interessen dient Eggert der ‚Leser‘, und zwar im Verständnis als kognitiver Realisator des Werkes im rezeptionstheoretischen Sinne. Dass Eggert dafür als Objekt des Lesens das ‚Werk‘ und nicht etwa den ‚Text‘ ins Zentrum rückt, zeigt nicht nur der Haupttitel des Buches an, sondern ergibt sich auch aus seinen semiotisch mit C.S. Peirce grundierten literatur- wie editionstheoretischen Zielsetzungen.

Uwe Maximilian Korn: Von der Textkritik zur Textologie. Geschichte der neugermanistischen Editionsphilologie bis 1970 (Beihefte zum Euphorion: Zeitschrift für Literaturgeschichte, 114). Heidelberg: Winter, 2021.

Wissenschaftsgeschichtliche Studien liegen im Trend, und auch die Editionswissenschaft und ihre Geschichte wird seit einigen Jahren in den Blick genommen. Hans-Harald Müller hat bereits 2009 festgestellt: „Mit der Editionsphilologie und der Wissenschaftsgeschichte treffen sich zwei lange marginalisierte Subdisziplinen, die ins Zentrum des Fachs gehören.“ Obwohl zahlreiche, bereits im 19. Jahrhundert erarbeitete wissenschaftliche Editionen zur deutschsprachigen Literatur vielfach noch heute die maßgebliche Textgrundlage für Analyse und Interpretation sind, und die Philologie die Entstehung der literaturwissenschaftlichen Fächer prägte, blieb für die Textedition als Disziplin lange nur ein Dasein als „wissenschaftliche Nische“; das bestätigt einmal mehr die hier vorzustellende Arbeit von Uwe Maximilian Korn.

Erika Thomalla: Anwälte des Autors. Zur Geschichte der Herausgeberschaft im 18. und 19. Jahrhundert. Göttingen: Wallstein Verlag 2020.

Das deutsche Urheberrecht macht kein großes Aufhebens davon, „wissenschaftliche Ausgaben“ sind 25 Jahre lang geschützt, das „Recht steht dem Verfasser der Ausgabe zu.“ Es sind die (Literatur-) Wissenschaftler:innen selbst, in deren Selbstreflexions- und Selbstlegitimationsdiskurs die Praxis der und die Rede von der Herausgeberschaft hohen Stellenwert besitzen, stellen Editionen doch zu guten Teilen das Forschungsmaterial für die Geistes- und Kulturwissenschaften allererst bereit. Bereits im späten 18. Jahrhundert hatten fiktionale Texte Autorschaft und (fiktive) Herausgeberschaft in wechselseitiger Abhängigkeit voneinander definiert und etabliert.

Manfred Jurgensen: Hans Mayers „gelebte Literatur“: Ein Kompendium. Würzburg: Königshausen & Neumann, 2021.

Jurgensen hat seine erste 1970 geschriebene Veröffentlichung über Hans Mayer 1973 in einem UTB-Band zur „Deutschen Literaturtheorie der Gegenwart“ veröffentlicht. Zu dem Zeitpunkt hatte er längere persönliche Begegnungen mit dem Autor: „Kongresse und persönliche Kontakte verlängerten die Freundschaft bis zu Mayers Emeritierung.“ Sieht man von dem kurzen persönlich gehaltenen Vorwort und einer 14-seitigen Einleitung zum Lebensweg Mayers ab, so widmen sich die Kapitel des Buches „Gelebte Literatur“ in zeitlich chronologischer Folge (nach dem Erscheinungsdatum) den Werken Mayers von 1959 bis 2001. Die damit vom Inhaltverzeichnis hervorgerufene Orientierung in Mayers umfangreichem Werk unterläuft der Autor allerdings dadurch, dass er sich in allen Kapiteln Mayers Stil der durchgreifenden Bezüge durch Jahrhunderte und Verknüpfung des sich fortschreibenden Gesamtwerkes und seiner dialektischen Fortentwicklung zu eigen macht.

Avantgarde intermedial. Theorie und Praxis des Künstlerbuchs. Beiträge eines Kolloquiums an der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel vom 13.–15. Juni 2019. Ed. Jan Röhnert (Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen, 66). Wiesbaden: Harrassowitz, 2021.

Anlass zum Erscheinen des hier anzuzeigenden Bandes gab ein dreitägiges Kolloquium 2019 an der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel (HAB). Neben den Vorträgen fand auch eine Lesung des als Dichter und Grafiker doppelbegabten Christoph Meckel (1935–2020) statt, der mit zehn Gedichten im Tagungsband vertreten ist. Die Tagung zielte einerseits darauf ab, einen geschärften Blick auf die Sammlungsbestände der HAB zu lenken und wollte sich andererseits dem Medium Künstlerbuch grundsätzlich, in vielseitiger, interdisziplinärer Perspektive nähern.

Fremdsprachenlehrwerke in der Frühen Neuzeit: Perspektiven – Potential – Herausforderungen. Ed. Julia Hübner und Horst Simon (Episteme in Bewegung. Beiträge zu einer transdisziplinären Wissensgeschichte, 24). Wiesbaden: Harrassowitz 2021.

Der Band enthält 13 Beiträge zu einem Workshop, den der Sonderforschungsbereich „Episteme in Bewegung. Wissenstransfer von der Alten Welt bis in die Frühe Neuzeit“ an der FU Berlin im Frühjahr 2021 abhielt. Das Themenspektrum reicht von der Phonetik bis zur Soziolinguistik, das Spektrum der berücksichtigten Sprachen ist breit. Schwerpunkte sind das Deutsche, Französische und Italienische, weiterhin sind das Kajkavisch-Kroatische und das Tschechische berücksichtigt.

Catherine Gore: Der Geldverleiher: Ein viktorianischer Roman. Übersetzt von Theodor Fontane. Ediert und mit einer Einleitung versehen von Iwan-Michelangelo D’Aprile (Extradrucke der Anderen Bibliothek, 441). Berlin: Aufbau, 2021.

Wenngleich die britische Sensationsautorin Catherine Gore (1799–1861) heute nur noch wenigen bekannt sein dürfte, waren die meisten ihrer knapp 70 Werke im 19. Jahrhundert wichtige Repräsentanten der sog. „Silver Folk Novel“. Geprägt wurde der Begriff bekanntlich von William Hazlitt in seinem 1827 im The Examiner verfassten Essay „The Dandy School“ und bezeichnet v. a. Werke, die den materiellen Trivialitäten und dem Luxus der reichen Oberschicht mehr Aufmerksamkeit schenken als deren innere Beweggründe und Handlungen. Als zwischen März und Dezember 1842 Catherine Gores Roman in Tait’s politisch liberalem Edinburgh Magazine unter dem Titel Abednego, the Money Lender erschien, konnte die Autorin bereits auf einige literarische Erfolge zurückblicken und es ist nicht verwunderlich, dass bereits 1846 der Stuttgarter Verlag der Franckh’schen Buchhandlung in seiner Reihe „Kabinettsbibliothek der classischen Romane aller Nationen“ das Werk unter dem Titel „Der Geldverleiher.

William Shakespeare: Die Sonette. Zweisprachige Ausgabe. Übersetzt von Frank Günther und Christa Schuenke . Mit einem Werkstattbericht, einem Essay und Literaturhinweisen von Manfred Pfister (William Shakespeare Gesamtausgabe, 38). Cadolzburg: ars vivendi, 2021.

Als Frank Günther am 15. Oktober 2020 verstarb, hinterließ er Übersetzungen der ersten 21 Sonette im Manuskript, welche ein Jahr später als Band 38 innerhalb seines Gesamtwerkes zusammen mit den restlichen Übertragungen Christa Schuenkes publiziert wurden. Schuenkes Übersetzung scheint sich – trotz zahlreicher hervorragender Konkurrenzübersetzungen (etwa von Markus Marti [2010] oder Claus Eckermann [2012]) – gut zu verkaufen, denn nach Erscheinen der ersten Hardcover-Ausgabe beim Straelener Manuskripte Verlag erreichte die gebundene Ausgabe bisher 3 Auflagen und die Taschenbuchausgabe – seit 1999 vom DTV betreut – lag 2021 in der nun 10. Auflage vor. Zudem wurden einige ihrer Übertragungen als Hör-CD vermarktet und auch öfter für szenische Aufführungen benutzt.

William Shakespeare: King Henry VIII / König Heinrich VIII. Englisch-Deutsche Ausgabe. Deutsche Prosafassung und Anmerkungen von Peter Wolfensperger. Einleitung und Kommentar von Wolfgang G. Müller (Englisch-deutsche Studienausgabe der Dramen Shakespeares). Tübingen: Stauffenburg, 2021.

Die hier anzuzeigende Englisch-deutsche Studienausgabe der späten Historie King Henry VIII hat eine lange und komplizierte Entstehungsgeschichte. Ursprünglich für eine Publikation 2006 vorgesehen, hatte Peter Wolfensperger, unterstützt vom Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung, die Arbeit an der Ausgabe bereits im Jahr 2000 begonnen. Nach Wolfenspergers plötzlichem Tod im Jahr 2005 blieb dessen akribische Arbeit unvollendet. So hatte er bereits die Prosaübersetzung, den englischen Text und einen umfassenden Annotationsapparat fertiggestellt und weitere Vorarbeiten geleistet. Dass das umfangreiche Projekt dennoch zu einem würdigen Abschluss kam, ist Wolfgang G. Müller (ehemals Universität Jena) zu verdanken, der Wolfenspergers Arbeit in vollem Umfang Respekt gezollt und um Einleitung, Szenenkommentar, Chronologie und eine minutiöse Quellenanalyse ergänzt hat.

»Wie ich den Weg zum Führer fand«: Beitrittsmotive und Entlastungsstrategien von NSDAP-Mitgliedern. Ed. Jürgen W. Falter, Kristine Khachatryan, Lisa Klagges, Jonas Meßner, Jan Rosensprung, und Hannah Weber. Frankfurt am Main: Campus, 2022.

Es mag zunächst verwundern, ein Buch in einer literatur- und sprachwissenschaftlich ausgerichteten Zeitschrift anzuzeigen, das von Politikwissenschaftlern, Soziologen, Sozialwissenschaftlern und Publizistikwissenschaftlern verfasst ist. Die Autoren und Autorinnen untersuchen nämlich die Motive zahlreicher Deutscher, die vor und nach 1933 in die NSDAP eingetreten sind. Dem werden die Strategien gegenübergestellt, die diese Parteimitglieder in den Entnazifizierungsverfahren nach 1945 wählten, um sich von ihrer Parteizugehörigkeit und den im Namen dieser Partei begangenen Verbrechen zu distanzieren und zu entlasten.

Jella Lepman: Die Kinderbuchbrücke. Ed. Internationale Jugendbibliothek unter Mitwirkung von Anna Becchi . München: Kunstmann, 2020.

Anlässlich des 50. Todestages von Jella Lepman ist im September 2020 ein großartiges Stück Literatur und gleichzeitig ein weitgehend unbekanntes, dennoch sehr wichtiges Zeugnis deutscher Nachkriegsgeschichte neu aufgelegt worden. Der Verlag Antje Kunstmann hat zu Ehren der jüdischen Journalistin und Gründerin der Internationalen Jugendbibliothek in München sowie des International Board on Books for Young People ein wunderschön aufgemachtes Buch auf den Markt gebracht, das nicht nur durch Leinenrücken und Bauchbinde besticht: Auf dem Cover erweist eine liebevoll illustrierte Parade von Kinderbuchhelden Jella Lepman die Ehre (neben Pinocchio, Max und Moritz und dem gestiefelten Kater mischen sich Alice, der Kleine Prinz, Pippi Langstrumpf und viele weitere prominente Helden unserer Kindheit unter die Menge).

Deutscher Bühnenverein: Struktur und Ereignis: Ein Arbeitsbuch zur Situation des Theaters der Gegenwart zum 175-jährigen Bestehen des Deutschen Bühnenvereins (Deutscher Bühnenverein). Würzburg: Könighausen & Neumann, 2021.

„Im Theater treten künstlerische Subjektivität und kollektive Verantwortung in ein dialektisches – manchmal durchaus auch ‚dramatisches‘ – Spannungsverhältnis, dessen Regeln und Bedingungen immer wieder neu ausgehandelt werden müssen“. So beschreibt Detlef Brandenburg, Chefredakteur der Zeitschrift Die Deutsche Bühne, im einleitenden Teil des hier anzuzeigenden Arbeitsbuches Struktur und Ereignis, das der Deutsche Bühnenverein anlässlich seines 175-jährigen Bestehens 2021 herausgebracht hat, die besondere Doppelstruktur, die dem Theater und seinem künstlerischen, organisatorischen und rechtlichen Betrieb zugrunde liegt.

Die Sommerhäuser der Dichter. Wo die schönste Zeit des Jahres verbracht wurde – von Ausschweifungen, gelungenen Werken und einem ewigen Sternenhimmel. Ed. Thomas Lardon . Wiesbaden: Corso, 2022.

„Wer den Dichter will verstehen | Muß in Dichters Lande gehen“, lauten die vielzitierten Verse aus Goethes West-östlichem Divan. Sie dienen oft als Werbeslogan, um zum Besuch von Häusern einzuladen, wo Dichter und Schriftstellerinnen gelebt, gearbeitet oder ihre Ferien verbracht haben. Viele dieser Häuser sind heute Gedenkstätten, Museen oder Lernorte mit einem reichhaltigen Informationsangebot, didaktisch aufbereiteten Exkursionen durch Werk und Biographie sowie material- und bildgesättigten Begegnungen mit Lebens-, Wohn- und Arbeitswelten kreativ tätiger Menschen. Man kann zwar daran zweifeln, ob solche Besuche dabei helfen, Literatur besser zu verstehen oder auch spekulieren, ob „Pilgerreisen“ zu Dichterhäusern nur „sentimentale Hagiografie“ sind.

Besprechungen / Germanisch und Deutsch

Katrin auf der Lake: Handlung, Wissen und Komik im Artusroman. Strategien des Erzählens in „Wigalois“ und „Diu Crône“. Berlin/Boston: De Gruyter 2021.

Die vorliegende Untersuchung, die auf einer Düsseldorfer Dissertation aus dem Jahr 2017 basiert, schreibt sich mit den im Titel genannten Schlagworten in einige über die letzten Jahrzehnte intensiv erforschte Bereiche der germanistischen Mediävistik ein. Zum einen ist dies der sogenannte nachklassische Artusroman, zum anderen geht es um die Narratologie sowie um die Komik- und Lachforschung. Angesichts der Breite der vorliegenden Forschung und der Heterogenität der verschiedenen Ansätze ist dies kein leichtes Unterfangen.

Germanische Altertumskunde im Wandel. Archäologische, philologische und geschichtswissenschaftliche Beiträge aus 150 Jahren. Hrsg. von Sebastian Brather, Wilhelm Heizmann , Steffen Patzold. Berlin/Boston: De Gruyter 2021.

Dass in der Reihe der Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde der 100. Band erscheint, nehmen die Herausgeber zum Anlass, mit der vorliegenden Publikation zur Reflexion über die Geschichte des Fachgebiets anzuregen. Dazu werden paradigmatische oder mindestens zeittypische Beiträge aus 150 Jahren Germanischer Altertumskunde erneut abgedruckt und in nachgestellten Kommentaren von ca. 3–5 Seiten historisch verortet. Die Beiträge werden über Zeitschnitte insgesamt fünf Phasen zugeordnet, die in der Einleitung begründet und jeweils knapp charakterisiert werden.

Doreen Brandt: Ereignisbezogene Lieder und Reimpaarreden im Spätmittelalter. Untersuchungen zu Texttypen und Überlieferungskontexten. Berlin/Boston: De Gruyter 2021.

Doreen Brandt legt mit ihrer 2017 an der Universität Rostock angenommenen Dissertation zu ereignisbezogenen Dichtungen über die Schlacht bei Hemmingstedt eine Studie mit Textedition vor, deren Verdienste auf mehreren Ebenen liegen: Sie rückt einen vor allem im 15. und 16. Jahrhundert sehr verbreiteten Texttyp (in den grundlegenden Editionen des 19. Jahrhunderts meist falsch als ‚historische Volkslieder‘ bezeichnet) in ein neues, konsequent an der Überlieferung orientiertes Bild. Gleichzeitig bietet sie ein festumrissenes mittelniederdeutsches Textkorpus aus Reimreden und Liedern zur Schlacht bei Hemmingstedt am 17. Februar 1500 zwischen Dithmarschern und einem Heer König Johanns I. von Dänemark in einer modernen, aufwendig kommentierten Edition sowie einen detailreichen Katalog aller Überlieferungsträger der Texte von 1500 bis ins späte 18. Jahrhundert.

Die Lieder Muskatbluts. Hrsg. und kommentiert von Jens Haustein und Eva Willms. Stuttgart: Anton Hiersemann 2021.

Diese Neuedition war längst überfällig. 170 Jahre lang musste man Muskatblut, einen der wirkmächtigsten Lyriker des späten Mittelalters – Lieder sind in 33 Handschriften und zehn Drucken überliefert, hinzu kommen weitere Lieder in seinem Hauptton sowie Sprüche mit Autorsignatur und Zitate aus Liedern – in der Ausgabe Eberhard von Grootes lesen; allenfalls konnte man noch seit 1987 auf das Faksimile der Kölner Handschrift zurückgreifen. Die Neuedition, die Eva Willms und Karl Stackmann seinerzeit in Angriff genommen hatten, kam zu keinem Abschluss, nicht zuletzt zunehmender methodischer Zweifel wegen. Erst in jüngster Zeit wurde das Projekt, allerdings unter geänderten Bedingungen, wieder aufgenommen und nun erfolgreich zu Ende geführt.

Besprechungen / Englisch und Amerikanisch

Jochen Petzold: A History of the Sonnet in England: “A little world made cunningly”. Berlin: Erich Schmidt, 2021.

This whistle-stop tour of the history of the sonnet in England – not, it should be noted, of the sonnet in English; the study rarely strays beyond the geographical boundaries of the United Kingdom – follows, for the most part, a very familiar itinerary. Beginning with the emergence of the form in medieval Italy, it retells the story of the sonnet’s adoption, naturalization, development, neglect, and revival, ending with some observations on its continuing presence in contemporary poetry. The sense of familiarity is reinforced by the fact that the study relies heavily on existing secondary material rather than on primary research. It is not until Petzold gets to the early twentieth century, and is forced to construct his own narrative, that a new and slightly different picture begins to emerge, highlighting the connection between the form and the experience of war and conflict.

The Arden Research Handbook of Shakespeare and Textual Studies. Ed. Lukas Erne (The Arden Shakespeare Handbooks). London: Bloomsbury, 2021.

In 1985, Bob Geldof and Midge Ure organized Live Aid, a groundbreaking, collaborative, global music event featuring the brightest stars in 1980s pop culture. In the field of Shakespearean textual studies, the publication of The Arden Research Handbook of Shakespeare and Textual Studies represents a similar behemoth event, consisting of a range of international contributors, including some of the world’s most eminent Shakespeare scholars, and edited by a doyen of textual studies: Lukas Erne.

Arden of Faversham. Ed. Catherine Richardson (Arden Early Modern Drama). London: Bloomsbury Publishing, 2021.

Arden of Faversham is a great Elizabethan play, and it is doubly wonderful to have the tragedy not only included as part of the Arden Early Modern Drama series but also edited by so accomplished a scholar as Catherine Richardson. The introduction provides a detailed account of the play’s historical context, sources, and genre, offering fascinating insights into the “years leading up to” the historical Thomas Arden’s death in 1551 and situating the play in “a tradition” not only of chronicle materials but also “murder pamphlets and broadside ballads about murders that germinated in the late 1570s”. Richardson broadens our knowledge of the play in relation to “domestic concerns” and provides enlightening commentary on its “uneven linguistic register” and its “boldly exciting and experimental writing”.

Andy Johnson: Sir John Oldcastle of Herefordshire: Traitor, Martyr or the real Falstaff? Hereford: Logaston Press, 2020.

Andy Johnson’s Sir John Oldcastle of Herefordshire: Traitor, Martyr or the real Falstaff? is a remarkable study of the life and legacy of Sir John Oldcastle, featuring copious illustrations and synthesizing a wide range of source materials. Johnson’s research on Oldcastle spans a period (sporadically, as he informs us) of around forty years. Despite being an incredibly comprehensive and detailed study, Johnson puts us readers first throughout as the narrative unfolds. He sets about answering exactly who Oldcastle was; why Shakespeare chose him as Prince Hal’s companion in his Henry IV plays; why Shakespeare had to change the name of his dramatic personage from Oldcastle to Falstaff; and what resemblances exist between the real Oldcastle and the persona invented by Shakespeare.

Early Modern Debts, 1550–1700. Ed. Laura Kolb and George Oppitz-Trotman (Palgrave Studies in Literature, Culture and Economics). Basingstoke: Palgrave Macmillan, 2020.

Published in the relatively new Palgrave economic humanities series, Early Modern Debts 1550–1700 investigates the cultural significance of debt in early modern Europe, underlining the social, economic and cultural character of lending and borrowing between bodies as versatile as individuals, cities, merchant networks and corporations. The text is divided into four parts that look at the concept of debt and its functioning in the early modern world from the interlocking perspectives of economic and legal history, literature and philosophy. Debt is approached through a series of topical close-ups that consider both the British Isles and the European continent, albeit with a noted predilection towards the former.

George Oppitz-Trotman: Stages of Loss: The English Comedians and Their Reception. Oxford: Oxford University Press, 2020.

Stages of Loss: The English Comedians and Their Reception is an important, wide-ranging study of the late sixteenth-century and seventeenth-century English travelling players in the Holy Roman Empire (now mostly Germany), and of the scholarly difficulty of doing justice to their history. Frequently on the move, the players were migrant strangers, routinely exposed to “the suspicion and condescension with which European culture has generally greeted those who cross its borders”, and the entertainments they offered were fleeting. The documentation of their activities, to the extent that it has survived, is perplexingly difficult to recover and scattered across the many places in which they performed, during a period of several decades.

The Oxford Handbook of Shakespearean Comedy. Ed. Heather Hirschfeld (Oxford Handbooks). Oxford University Press, 2018.

Impossible as it is to discriminate between the thirty-three contributors to this book in a short review, I shall try instead to comment on its rationale as set out in the editor’s Introduction. Hirschfeld notes that, in recent years, commentary on Shakespeare’s comedies has been reconfigured “under the influence of theories and methodologies including Marxism, Russian formalism, structuralist linguistics and anthropology, semiotics, Foucauldian historiography, New Historicism and materialism, and feminism”. Her ambition is to add what she calls “critical semantics” to this list.

William Shakespeare: Measure for Measure. Ed. A. R. Braunmuller and Robert N. Watson (The Arden Shakespeare). London & New York: Bloomsbury, 2020.

Schon zu Beginn des einleitenden Essays machen die Herausgeber der neusten Arden-Ausgabe von Measure for Measure deutlich, vor welche Herausforderungen das Drama sowohl die Textkritik als auch das Theater gleichermaßen stellen: „Measure for Measure is a cobbled-together mess and a true masterpiece.“ An diesem und vielen weiteren Widersprüchen, die der Text bereithält, arbeiten sich A.R. Braunmuller (Text und Kommentar) und Robert N. Watson (Einleitung) in der Folge mit Präzision und kritischer Zugewandtheit ab. Sie zeigen das weniger gemessene als maßlose Problemstück als einen reichhaltigen thematischen und theatralen Steinbruch, dessen Aktualität an dem Grad der Verstörung abzulesen ist, der das Stück bei der Lektüre und auf der Bühne bis heute auslöst.

Peter Hunt: Die Erfindung von Alice im Wunderland. Wie alles begann. Aus dem Englischen von Gisella M. Vorderobermeier. Darmstadt: wbg Theiss, 2020.

Es gehört wohl zu den kuriosesten Phänomenen der Literaturgeschichte, dass ein Mathematik-Dozent in Oxford namens Charles Lutwidge Dodgson (1832–1898) eine Nonsense-Erzählung verfasste, die als originellstes Kinderbuch aller Zeiten gilt. Kurios mag auch erscheinen, dass sich der unter dem Pseudonym Lewis Carroll bekannt gewordene Autor, in vieler Hinsicht Quintessenz eines Viktorianers, zu Beginn des 21. Jahrhunderts als veritabler ‚global player‘ präsentiert. Das 150-jährige Jubiläum der Veröffentlichung von Alice’s Adventures in Wonderland (1865) wurde weltweit in den Medien, mit Ausstellungen, Bühnenadaptationen und Veröffentlichungen gefeiert.

Annalise Grice: D. H. Lawrence and the Literary Marketplace: The Early Writings. Edinburgh: Edinburgh University Press, 2022.

The contents of this impeccably researched and highly readable study far exceed the promise of its title, unless, that is, the reader anticipates the extent to which “the literary marketplace” encompasses almost all of young Lawrence’s acquaintance: his female friends play leading roles, including relatively neglected figures such as Blanche Jennings, Louie Burrows, Violet Hunt and Rachel Annand Taylor, alongside his male mentors and publishers, from Ford Madox Hueffer and Edward Garnett to the lesser-known Eddie Marsh and Mitchell Kennerley. Not all the key protagonists are name-checked in the chapter titles, however, which might limit the reach of this book more than it deserves.

Marion Löhndorf: Geschüttelt, aber ungerührt: Was England anders macht. Springe: zu Klampen, 2021.

Mit dem Anfang 2020 vollzogenen Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union bestätigte sich für manch kontinentaleuropäische Stimme das Klischee eines „ awkward partner“ (Stephen George), der die Weiterentwicklung der Gemeinschaft zu einer supranationalen Union stets mit Blick auf die Wahrung nationaler Interessen und Souveränitätsrechte gebremst habe und sich seinen US-amerikanischen Freunden jenseits des Atlantiks enger verbunden fühle als den Nachbaren jenseits des Ärmelkanals. Weder teilt die Verfasserin der hier anzuzeigenden Publikation dieses pauschale Urteil noch reduziert sie die komplexe Vielfalt historischer, kultureller und gesellschaftlicher Faktoren, die in ihrer verhaltenssteuernden Wirkung letztlich im Brexit mündeten, auf monokausale Erklärungen, wie sie die Boulevard-Presse für ihre Leserschaft gerne bereithält.

Kritische Fremdsprachendidaktik: Grundlagen, Ziele, Beispiele. Ed. David Gerlach . Tübingen: Narr Francke Attempto, 2020.

Der vorliegende Sammelband präsentiert einen neuartigen Ansatz für die Gestaltung des fremdsprachlichen Unterrichts: das Konzept einer „Kritischen Fremdsprachendidaktik“. Zu Beginn umreißt der Herausgeber, David Gerlach, diese als „Frage danach, wie Fremdsprachenunterricht ein kritisches, pädagogisches Element dynamisch in seine Didaktik integrieren und pädagogisch umsetzen kann“. Dabei ginge es vor allem auch „um das Thematisieren und Erkennen von machttheoretischen Zusammenhängen, den Abbau von Vorurteilen, Bildung für soziale Gerechtigkeit und Demokratieerziehung“ (ebd.).

Jürgen Meyer: Fachdidaktik Englisch – Fokus Literaturvermittlung. Eine hermeneutische Analyse von Lehrwerken der gymnasialen Oberstufe (Studies in English Language Teaching, 11). Tübingen: Gunter Narr, 2021.

Mit Fachdidaktik Englisch – Fokus Literaturvermittlung präsentiert Jürgen Meyer eine fundierte und stringente Studie zum aktuellen Stand der Literaturvermittlung im kompetenzorientierten Englischunterricht. Meyer plädiert dabei „für eine moderate, themenbezogene Re-Philologisierung des gymnasialen Literaturunterrichts und damit für eine intensivierte Betrachtung der Literatur als Literatur“.

Besprechungen / Romanisch

Werner Helmich: Am Ende. Lebensbilanzen in der zeitgenössischen romanischen Erzählfiktion. Heidelberg: Winter 2021. 503 S.

Das umfangreiche Werk von Werner Helmich widmet sich dem Motiv der Lebensbilanz im Angesicht des Todes. Das behandelte Textkorpus besteht aus Romanen und einzelnen Erzählungen der romanischen Literaturen der letzten zwei bis drei Schriftstellergenerationen und lässt auf eine lange Lektüreerfahrung schließen. Bei einer ersten Durchsicht des Werkes fällt sofort die ungewöhnliche Breite der romanistischen Kompetenzen des Vf. ins Auge, denn neben der französischen finden sich auch viele Beispiele aus der italienischen, spanischen, hispanoamerikanischen und portugiesischen Literatur der letzten Jahrzehnte. Im Sinne der Lesefreundlichkeit sind für ein Publikum, das in der Regel nicht über Kompetenzen in allen vier romanischen Hauptsprachen verfügt, den Originalzitaten jeweils Übersetzungen ins Deutsche beigefügt, die teils aus vorhandenen Übersetzungen, teils vom Vf. stammen.

Susanne Kleinert: Geschichte und Gedächtnis im Roman. Beispiele aus Frankreich, Italien und Lateinamerika 1970–2000.

Dass diese um einen französischen Modelltext erweiterte und aktualisierte Fassung einer Habilitationsschrift von 1994, verzögert durch die Verpflichtungen, die ein Lehrstuhl mit sich bringt, aber auch durch zahlreiche weitere Vorarbeiten (12 der 16 im Literaturverzeichnis genannten eigenen Aufsätze stammen aus den Jahren nach 1994) mehr als ein Vierteljahrhundert nach ihrer Einreichung endlich in einer gediegenen Ausgabe im Druck erscheint, ist sicher auch eine Befriedigung für die Verfasserin, vor allem aber ein später Gewinn für die Forschung, denn man sieht der Arbeit sowohl die in sie eingegangene Geschichte der Postmoderne-Thematik als auch die reiche Lese- und Interpretationserfahrung eines akademischen Lebens an – in der Diktion wie in der Weite des Blicks.

Catulle Mendès und Judith Gautier. Anmerkungen zu den ersten Bänden ihrer Werkausgaben. Besprechungsaufsatz – Zweiter Teil

Catulle Mendès und Judith, die Tochter von Théophile Gautier, waren von 1866 bis 1896 ein Ehepaar. Beide waren sehr produktive Schriftsteller und zählten zu den ersten Bewunderern und Propagandisten Richard Wagners in Frankreich. Ihre Ehe war nicht glücklich (vor allem wohl wegen der zahllosen Frauengeschichten Catulles), 1878 trennten sie sich offiziell (eine Scheidung war in Frankreich erst ab 1885 wieder möglich). Spätestens nach dem Ersten Weltkrieg gerieten ihrer beider Werke für Jahrzehnte fast völlig in Vergessenheit, aber seit einiger Zeit läßt sich ein neues Interesse nicht nur an Judith beobachten, die in den Fokus einer feministischen Literaturwissenschaft geraten ist; auch etliche Romane und Erzählungen Catulles sind in den letzten Jahren (in Leseausgaben) neu aufgelegt worden.

Kurzbesprechungen / Englisch und Amerikanisch

Stefanie Stockhorst: Ars Equitandi: Eine Kulturgeschichte der Reitlehre in der Frühen Neuzeit (Hannover: Wehrhahn, 2020).

Schon wieder Griso, Pluvinel und Cavendish…? Auch, aber bei weitem nicht nur! Stefanie Stockhorsts Monografie zur Kunst des Reitens demonstriert Fachkompetenz und Belesenheit von geradezu enzyklopädischer Breite, die ihresgleichen suchen dürfte. Die Verfasserin hat auf 262 (nach Themen untergliederten) Textseiten plus Glossar, Anmerkungen, Literaturverzeichnis, Abbildungsnachweis und Personenregister eine (auch reich bebilderte) Kulturgeschichte der Reitlehre verfasst, die absolut überzeugt. Stockhorsts spezifisches Interesse gilt dem Reitlehrbuch, das in der Tat in der Fülle der Titel zu Ross und Reiter bisher nur geringe wissenschaftliche Aufmerksamkeit gefunden hat.
DOI: https://doi.org/10.37307/j.1866-5381.2022.02
Lizenz: ESV-Lizenz
ISSN: 1866-5381
Ausgabe / Jahr: 2 / 2022
Veröffentlicht: 2022-11-24
 

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