Der Körper des Helden und das „Leben“ der Königin: Geschlechter- und Machtkonstellationen im „Nibelungenlied“

Auf der Grundlage der durch mediävistische Geschichts- und Literaturwissenschaft (Althoff, Jaeger) initiierten Forschung zum „Körper“ sowie einschlägiger Arbeiten zur Gendertheorie (Butler u.a.) wird die 6. Aventiure des Nibelungenliedes Gegenstand einer erneuten Lektüre. Dabei zeigt sich, daß die literarische Konstruktion der Brünhildfigur als politischer und mit großer physischer Stärke ausgezeichneter Körper der Präsentation der Siegfriedfigur im Text entspricht. Machtpolitische Kämpfe im Nibelungenlied werden unter anderem auch als Kampf der Geschlechter erzählt. Die in den Text eingeschriebene Konzeption von „Geschlecht“ zeigt aus dieser Perspektive einerseits Anklänge an ein „Ein-Geschlecht-Modell“ (Laqueur). Andererseits wird im Epos durch den Einsatz narrativer Strategien eine Differenz der Geschlechter hervorgehoben, die sich auch in der Niederlage Brünhilds offenbart: Das erzählte „Leben“ der Königin erweist sich so als vollständig durch die Lüge des Stratorendienstes bestimmt.

The sixth book of the Nibelungenlied is given a new reading on the basis of research into the ‚body‘ initiated by medieval historians and literary scholars (Althoff, Jaeger) and by relevant works on gender theory (Butler et al). This shows that the literary construction of the Brunhild character as a political figure with immense physical strength corresponds to the character of Siegfried in the text. One way in which power-political struggles are portrayed in the Nibelungenlied is as a conflict between the sexes. Seen from this perspective, the concept of gender which occurs in the text has features of a ‚one gender model‘ (Laqueur). On the other hand, the use of narrative strategies in the poem emphasises the difference between the genders, a difference which is revealed in Brunhild’s defeat: the narrated ‚life‘ of the Queen is thus shown to be completely determined by the lie of the stirrup service.

Seiten 27 - 49