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Mareike Schildmann
Robert Walsers Kinder und das Entwicklungswissen um 1900

In der Forschung zu Robert Walser wird immer wieder auf zwei hervorstechende Merkmale seines poetischen Œuvres verwiesen: auf die persistierende und bisweilen verstörende Kindlichkeit seiner Figuren und die notorische ‚Entwicklungslosigkeit‘, die über die figurative Gestaltung hinaus zu einer bestimmenden Eigenschaft der Form des Erzählens wird. Dieser Beitrag versucht aus wissenspoetischer und -historischer Perspektive den Begriff der Entwicklung in seiner semantischen und disziplinären Vielschichtigkeit zu untersuchen, seine inhärente Kopplung mit Konzepten der Kindheit zu befragen, die sich um 1900 in den neuen Wissenschaften vom Kinde formieren und in ein Verhältnis zu Walsers erzählerischen Modellierung einer anachronistischen, erwachsenen Kindlichkeit zu setzen. Am Beispiel von „Fritz Kochers Aufsätzen“, einer Sammlung fiktiver Schulaufsätze, die Walsers erste Publikation darstellt, wird zuletzt demonstriert, wie sich die Kontroverse um die Gesetze der kindlichen Entwicklung – in der Pädagogik der Zeit wie auch spezifisch bei Walser – in der Auseinandersetzung mit der kindlichen Schreibproduktion niederschlägt und bei Walser eine poetologische Signatur entfaltet.

The research on Robert Walser repeatedly refers to two striking features of his poetic oeuvre: the persistent and sometimes disturbing childishness of his characters and the notorious ‘lack of development’, which, in addition to figurative design, was a determining feature of his narrative form. This article seeks to examine the concept of development in its semantic and disciplinary complexity from a poetic-political and historical perspective, to question its inherent coupling with concepts of childhood that developed around the year 1900 in the new sciences of the child, and to explore their relationship to Walser’s narrative modeling of an anachronistic, adult childishness. The example of “Fritz Kocher’s essays”, a collection of fictional school essays which is Walser’s first publication, demonstrates finally how the controversy surrounding the laws of child development – both in the pedagogy of the time and specifically in Walser’s work – is reflected in the debate on writing by children and also how it evolves into a poetological signature in Walser’s writing.

DOI: https://doi.org/10.37307/j.1868-7806.2018.04.05
Lizenz: ESV-Lizenz
ISSN: 1868-7806
Ausgabe / Jahr: 4 / 2018
Veröffentlicht: 2018-12-10
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