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Altersdiskriminierung: Vordienstzeiten vor Vollendung des 18. Lebensjahres

1. Durch die Rechtsprechung des EuGH ist geklärt, dass eine nationale Regelung, die Personen, die ihre Berufserfahrung, wenn auch nur teilweise, vor Vollendung des 18. Lebensjahres erworben haben, weniger günstig behandelt, als Personen, die nach Vollendung des 18. Lebensjahres eine gleichartige Berufserfahrung vergleichbarer Länge erworben haben, eine (unmittelbare) Ungleichbehandlung von Personen aus Gründen des Alters, in dem sie ihre Berufserfahrung erworben haben, darstellt.

2. Ungeachtet der durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 82/2010 modifizierten Rechtslage besteht (nach wie vor) im Ergebnis eine gemäß Art. 2 Abs. 2 lit. a RL 2000/78/EG unzulässige Ungleichbehandlung von Zeiten vor bzw nach der Vollendung des 18. Lebensjahres in Ansehung von „Altbeamten“. Zwar können diese gemäß § 113 Abs. 10 GehG eine Neufestsetzung ihres Vorrückungsstichtages beantragen (und damit die nach der Altrechtslage ausgeschlossene Berücksichtigung von Zeiten vor der Vollendung ihres 18. Lebensjahres erreichen); eine solche Option hat freilich ex lege zur Folge, dass diese Beamten dann auch dem Anwendungsbereich des § 8 Abs. 1 GehG i. d. F. BGBl. I Nr. 82/2010 unterfallen, der eine Vorrückung von der ersten in die zweite Gehaltsstufe erst nach fünf Jahren – statt wie nach der Altrechtslage schon nach zwei Jahren – vorsieht.

3. Die damit neuerlich bewirkte Altersdiskriminierung liegt darin begründet, dass andere „Altbeamte“, welche entsprechende anrechnungstaugliche Zeiten erst nach dem 18. Lebensjahr erworben haben, auch unter Berücksichtigung der durch die Novelle BGBl. I Nr. 82/2010 geschaffenen Optionsmöglichkeit, im Ergebnis besoldungsrechtlich weiterhin günstiger behandelt werden: Diesen Beamten wurden solche Zeiten nämlich (schon) nach der Altrechtslage für die Ermittlung ihres Vorrückungsstichtages angerechnet.

4. Mit § 8 Abs. 1 GehG i. d. F BGBl. I Nr. 82/2010 wird die durch den EuGH im Urteil Hütter festgestellte Altersdiskriminierung zu Lasten jener „Altbeamter“, die über (nunmehr) anrechenbare – vor dem 18. Lebensjahr erworbene – Zeiten verfügen, ungeachtet der ihnen offen stehenden Möglichkeit eine Neufestsetzung ihres Vorrückungsstichtages gemäß § 113 Abs. 10 GehG zu beantragen, fortgeschrieben.

5. Eine Rechtfertigung dieser Ungleichbehandlung im Sinn des Art. 6 RL 2000/78/EG ist nicht erkennbar.

6. Mit § 8 Abs. 1 GehG i. d. F. BGBl. I Nr. 82/2010 hat der Bundesgesetzgeber die Erfordernisse der RL unzulänglich umgesetzt.

7. Das dort umschriebene Diskriminierungsverbot ist inhaltlich unbedingt und hinreichend bestimmt; es ist daher nach der Judikatur des EuGH unmittelbar wirksam.

8. Dies bedeutet, dass Art. 2 und Art. 6 RL 2000/78/EG Vorrang vor der innerstaatlichen Bestimmung des § 8 Abs. 1 GehG i. d. F. BGBl. I Nr. 82/2010 genießt, soweit sich diese Bestimmung in diskriminierender Weise auswirkt. Belastendes nationales Recht, das in einer konkreten Konstellation im Widerspruch zu unmittelbar anwendbarem Unionsrecht steht, wird für diese Konstellation verdrängt.

9. Die Verdrängungswirkung des Unionsrechts hat zur Folge, dass die nationale gesetzliche Regelung in jener Gestalt anwendbar bleibt, in der sie nicht mehr im Widerspruch zum Unionsrecht steht. Die Verdrängung erreicht dabei bloß jenes Ausmaß, das gerade noch hinreicht, um einen unionsrechtskonformen Zustand herbeizuführen.

10. Unter diesem Gesichtspunkt bewirkt der Vorrang des Unionsrechts, dass § 8 Abs. 1 erster Satz GehG i. d. F. BGBl. I Nr. 82/2010 vom Unionsrecht insoweit verdrängt wird, als er eine Diskriminierung (hier des optierenden Bf gegenüber dem oben beschriebenen nicht optierenden „Vergleichsbeamten“) bewirkt, also (bloß) insoweit als er (hier für den Bf als Optanten [nunmehr rückwirkend]) eine Vorrückungsdauer für das Erreichen der zweiten Gehaltsstufe vorsieht, welche dreieinhalb Jahre übersteigt.

11. Die belB, die im Rahmen ihrer Zuständigkeit amtswegig die gesamte Rechtsordnung zu prüfen hat, was auch die Frage ihrer Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht, im Besonderen mit Art. 2 und Art. 6 der RL 2000/78/EG umfasste, wäre gehalten gewesen, für die volle Wirksamkeit des Unionsrechts Sorge zu tragen, indem sie im erforderlichen Ausmaß jede ihm entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts – im konkreten Fall die Bestimmung des § 8 Abs. 1 erster Satz GehG i. d. F. BGBl. I Nr. 82/2010 – unangewendet lässt.

VwGH (österr.), Erkenntnis vom 4. 9. 2012 – Z. 2012/12/0007 –

Anmerkung von Prof. Dr. Gustav Wachter, Innsbruck

DOI: https://doi.org/10.37307/j.1868-7938.2013.09.09
Lizenz: ESV-Lizenz
ISSN: 1868-7938
Ausgabe / Jahr: 9 / 2013
Veröffentlicht: 2013-09-04
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