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Sylla – Talma – Napoléon, Vergangenheitsbewältigung in einer Römertragödie

Am 27. Dezember 1821 erlebte das Pariser Théâtre-Français die Uraufführung von Victor-Joseph Etienne de Jouys Tragödie Sylla. Jouy (1764–1846), ein Anhänger des liberalen Lagers, war beim Publikum seiner Zeit sehr erfolgreich. Der Erfolg des Sylla bei den Zeitgenossen ist im Vorwort der dritten, 1822 bei Ponthieu in Paris erschienenen Auflage der Tragödie dokumentiert:

“Vingt-cinq représentations successives, une affluence prodigieuse, et l’écoulement de deux éditions publiées en moins d’un mois, semblent avoir fixé le rang de la tragédie de Sylla parmi les créations théâtrales.”

Bereits im 1865–1890 erschienenen Grand dictionnaire universel von Pierre Larousse heißt es jedoch über Jouy: “Les ouvrages de cet écrivain sont profondément oubliés aujourd’hui.”.

Sylla thematisiert die Schreckensherrschaft des altrömischen Diktators Lucius Cornelius Sulla (138–78 v. Chr.). Erzählt wird eine Episode aus den zahlreichen Proskriptionen, denen eine Vielzahl römischer Bürger zum Opfer fielen. Sylla hat den Edlen Claudius, einen Freund seines Sohnes Faustus, auf die Liste der Proskribierten setzen lassen. Faustus gewährt Claudius Unterschlupf im Palast des Diktators, wo dieser mit seiner Ehefrau Valérie gemeinsam die Ermordung Syllas plant. Die Verschwörung wird verraten, Claudius soll hingerichtet werden. Nach einer Traumvision, in der Sylla die Opfer seiner Politik erscheinen, legt er vor der versammelten Volksmenge seine Herrschaft nieder.

Die Tragödie gehört vordergründig zu den zahlreichen neoklassizistischen Werken der Restaurationszeit und wäre an sich unter literaturästhetischen Gesichtspunkten nicht von besonderem Interesse. Es ist jedoch hinreichend bekannt, dass die französische Theaterproduktion der Restaurationsepoche oft zur Bewältigung der jüngsten Vergangenheit, der Revolution und des ersten Kaiserreichs, beitrug4, und unter diesem Aspekt ist Jouys Sylla von großem Interesse. In der Figur des Sylla sind Parallelen zu Kaiser Napoléon erkennbar, so dass die Titelfigur der Tragödie als Chiffre für Napoléon, und damit die ganze Tragödie als Beitrag zur Aufarbeitung der damaligen jüngsten Vergangenheit zu interpretieren ist.

Seiten 57 - 66

DOI: https://doi.org/10.37307/j.1866-5381.2007.01.07
Lizenz: ESV-Lizenz
ISSN: 1866-5381
Ausgabe / Jahr: 1 / 2007
Veröffentlicht: 2007-04-01
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Dokument Sylla – Talma – Napoléon, Vergangenheitsbewältigung in einer Römertragödie