Inhalt der Ausgabe 02/2018
Inhalt
Aufsätze
Herder entwickelt kurz vor seinem Tod im Jahr 1803 das Projekt einer „palingenisierten Sammlung“ seiner Volkslieder. Dieses Projekt bildet den Ausgangspunkt für die Edition und Interpretation der Volkslieder vom frühen 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Im Anschluss an Bernhard Suphans Kritik an der ersten postumen Herausgabe der Volkslieder unter dem Titel „Stimmen der Völker in Liedern“ (1807) und die erste kritische Edition Carl Redlichs stellt unser Beitrag die These einer werkgeschichtlichen Teleologie von den „Alten Volksliedern“ (1773–1775) zu den „Volksliedern“ (1778/79) infrage, die sich mit Ulrich Gaiers Neuedition in der Forschung durchgesetzt hat.
Goethes Arbeit am Abschluss des „Faust II“ hat eine textkritische Problemlage hinterlassen, mit der im Lauf der Editionsgeschichte unterschiedlich, in jüngerer Zeit geradezu gegensätzlich umgegangen wurde. Der vorliegende Beitrag entwirft ein neuartiges Verfahren der Textkonstitution. Im Mittelpunkt steht die Gesamthandschrift H, der infolge ihrer entstehungsgeschichtlich bedingten Inhomogenität kein insgesamt testamentarischer Status zukommt. Als Grundlage des konstituierten Texts der historisch-kritischen Faustedition wird stattdessen eine Kombination mehrerer Zeugen sowie in Teilen eine Rekonstruktion aufgrund des Variantenbefunds vorgeschlagen.
Feldpostbriefe deutschsprachiger Juden aus dem Ersten Weltkrieg werden hier daraufhin untersucht, welche Kriegserfahrungen sie vermitteln, angesichts der Tatsache, dass die Integration der Juden in die nichtjüdische Umgebung zu jener Zeit lange nicht vollzogen war und nicht selten der Vorwurf eines internationalen Judentums erhoben wurde. Es geht ferner um das Verhältnis deutscher Juden zum Vaterland im Kontext der sogenannten „Judenzählung“ und der Verbreitung eines völkisch-nationalistischen Antisemitismus. Vorstellungen von Jude- und Deutschsein im Spannungsverhältnis von Kriegsbegeisterung, jüdischem Patriotismus und Judenfeindlichkeit werden aus Feldpostbriefen herausgearbeitet.
In der aktuellen literaturwissenschaftlichen Forschung wurde mehrfach darauf hingewiesen, dass sich Thomas Mann insbesondere mit seinem Roman „Doktor Faustus“ in den abendländischen Melancholie-Diskurs einschreibt. Die vorliegende Studie versucht zu zeigen, dass die melancholische Leitmotivik in Manns Spätwerk durch die intertextuelle Verarbeitung der „Historia von D. Johann Fausten“ bestimmt ist. So präformiert der Rekurs auf das sogenannte ‚Volksbuch‘ Adrian Leverkühns Personifikation der melancholia generosa auf jeder Ebene seines Künstler-, Zeit- und Gesellschaftsomans.
Die Untersuchung zu Marlen Haushofers „Bartls Abenteuer“ befasst sich vor dem Hintergrund von Jacques Lacans „Spiegelstadium“ mit kulturökologischen und anti-anthropozentrischen sowie anthropofugalen Gesichtspunkten in dem zum Kinderbuchklassiker avancierten Text. Die Hauptthese ist, dass sich im fremden Blick der Katze eine kulturkritische Sicht auf den Menschen offenbart. „Bartls Abenteuer“ weist ein kulturkritisches Potenzial auf, indem der Mensch im Spiegel der Katze sich als der Natur und sich selbst entfremdetes, zivilisatorisch wie kulturell gewalttätiges, unfreies Wesen erkennt.
Die Namen im Untertitel von J. M. R. Lenz’ Komödie „Der neue Menoza, oder Geschichte des cumbanischen Prinzen Tandi“ (1774) gelten generell als Lenz’ freie Erfindung. Tatsächlich aber verweist Lenz mit diesen Namen aller Wahrscheinlichkeit nach auf eine kirchenkritische Schrift des Italieners Carlantonio Pilati aus dem Jahr 1768. Mit dieser Schrift stimmt Lenz’ Komödie außer in den Namen Tandi und Cumba auch in einigen inhaltlichen Aspekten überein.
Buchbesprechungen
Zweifellos: ein großer Wurf mit hohen Ansprüchen. Werner Michlers Monographie – 2012 als Habilitationsschrift an der Geistes- und Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien angenommen und vom Göttinger Wallstein-Verlag in gewohnt solider Weise zu einem beeindruckenden Ziegelstein gesetzt – will nicht weniger als „Bausteine zu einer ‚Geschichte der literarischen Gattungen‘ im Kontext einer ‚Kulturgeschichte der Gattung‘ liefern; sowie einen Versuch zur Theoretisierung dieses Zusammenhangs“. Seinen zentralen Einsatzpunkt macht der Verfasser unter Rekurs auf die seit den 1980er Jahren geführten Diskussionen mit wünschenswerter Klarheit deutlich: Er fragt nach den Operationen und Verfahren literaturbezogener Ordnungs- und Rubrizierungspraktiken, die von verschiedenen Akteuren mit je spezifischen Perspektiven vollzogen werden, um „generisches Handeln zu ermöglichen, zu erklären und zu bewerten“.
Am 20. Juni 2017 veröffentlichte die „Süddeutsche Zeitung“ (SZ) eine Fotostrecke mit dem Titel „Revolution am Bettrand“. Gezeigt wurden Aufnahmen des 2011 verstorbenen Fotografen Thomas Hesterberg, der im Sommer 1967 eine Weile in der Kommune I gewohnt und deren Aktivitäten und Zusammenleben dokumentiert hatte. Von ihm stammt auch das erstmals im „SPIEGEL“ abgedruckte Foto, das die Kommunarden nackt und wie bei einer polizeilichen Durchsuchung an die Wand gestützt zeigt.
Alexander Kluge ist seit mehr als einem halben Jahrhundert auf vielen Gebieten und in unterschiedlichen Milieus und Medien rastlos tätig, wobei sich – schematisch gesprochen – die gegenseitige Durchdringung von künstlerischer Produktion und theoretischer Reflexion durch sein gesamtes Œuvre zieht. Dorothea Walzer versucht in ihrer Untersuchung diese rastlose Tätigkeit und diese gegenseitige Durchdringung mit Hilfe der Kategorie des Exemplarischen zu erfassen. In einem ersten Schritt wird dieser Ansatz begründet.
Seit einigen Jahren ist ein verstärktes historisches Interesse für Literatur- und Kulturzeitschriften im 20. Jahrhundert zu beobachten. Periodika wie „Die Weltbühne“, „Akzente“, „Merkur“ oder „Kursbuch“ wurden in Einzelstudien untersucht und in ihrem Zusammenhang diskutiert. Dabei erwiesen sie sich als zentrale Foren des intellektuellen Lebens und der literarischen Innovation. Im engen Austausch mit Verlagshäusern, mit dem Rundfunk und Universitäten boten Zeitschriften neuen Autoren eine Publikationsmöglichkeit neben etablierten Stimmen. Sie betrieben Literaturpolitik und reflektierten das realpolitische Geschehen, stifteten manchem Autor wie Leser eine geistige Heimat oder popularisierten den akademischen Diskurs.
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