Inhalt der Ausgabe 02/2010
Inhalt
Aufsätze
In der Forschung wird angenommen, dass Schillers Mortimer aus „Maria Stuart“ eine freie Erfindung ohne erkennbares Vorbild in der britischen Geschichte oder Literatur sei. Dieser Beitrag zeigt den englischen Schauerroman „The Recess“ von Sophia Lee als wahrscheinliche Quelle für die Figur auf. Untersucht werden dabei die textlichen Gemeinsamkeiten zwischen „The Recess“ und „Maria Stuart“ sowie die Umstände, die Schiller zum englischen Roman geführt haben können.
E.T.A. Hoffmanns literaturwissenschaftlich bislang vernachlässigte Erzählung „Das Gelübde“ (1817) legt im Spannungsfeld von zeitgenössischer Medizingeschichte und (Para-) Psychologie ihre explizit poetologische Dimension offen. Damit antizipiert die Erzählung nicht nur die selbstreflexiven Erkenntnisse der „Serapions-Brüder“, sondern verhandelt die dort profilierte Einsicht in die ‚Duplizität allen irdischen Seins‘ mit ihrer Problematisierung eines dualistischen Wirklichkeitsmodells bereits kritisch.
Der Ironiegehalt von Heinrich Heines berühmtem „Loreley“-Gedicht ist in der Forschung wiederholt diskutiert und unterschiedlich bewertet worden. Die Bezugnahme auf den Topos vom Schiffbruch mit Zuschauer, der in Heines Gedicht anklingt, erlaubt eine differenziertere Bestimmung dieses Gehalts. Im Hinblick auf den Schiffer als Handlungsträger führt das Gedicht nicht allein die auf den Leser perspektivierte Wirkungsmechanik des Pathetischerhabenen vor. Vielmehr gelingt Heine durch die Einschaltung der ironischen Sprecherinstanz eine gezielte Erweiterung dieses ästhetischen Reflexionsmodells.
Ziel dieses Aufsatzes ist es zu zeigen, dass Storm in seiner Novelle „Carsten Curator“ die zu seiner Zeit aktuellen Konzepte von Heredität, Genetik und Evolution exemplarisch durchspielt und poetologisch gegenliest. Vorderhand gibt die Novelle Hinweise, dass die Familie Carstens einem ‚progrès d’un mal‘ im Sinne Morels unterworfen ist und mithin eine Verschlechterung der Erbeigenschaften bis zum Aussterben der Familie zu gewärtigen hat.
Rudolf Lindau (1829-1910), in seiner Zeit ein geachteter Erzähler, lebte zehn Jahre in Istanbul. Dort entstand sein Zeit- und Gesellschaftsroman „Ein unglückliches Volk“ (1903). Dessen deutscher Protagonist wird 1895/96 Augenzeuge armenischen Widerstands und türkischer Vergeltung. Indem das Werk dieses Ereignisgeflecht ins Zentrum rückt, wird es zu einem fast prophetischen politischen Roman über die ‚armenische Frage‘. Unter diesem Gesichtspunkt ist es zu Unrecht vergessen.
Hauptmanns Gedicht „Positano“ (1946) entstand 1944 als Denkmal für den deutschsprachigen Erfolgsautor Essad Bey (1905-1942). Der als Lew Nussimbaum in Baku geborene Sohn jüdischer Eltern konvertierte zum Islam und betrieb unter konservativen Vorzeichen eine literarische Verklärung des Orients. Hauptmann erfuhr durch den deutschamerikanischen Publizisten G. S. Viereck von der Notlage des schwerkranken Exilanten in Positano und vermittelte ihm die Unterstützung Pima Andreaes aus Rapallo. Darauf bezieht sich der zweite Teil seines Gedichts, dessen erster Teil der paradoxen Identität Essad Beys das mysteriöse Schicksal Valerie von Mangolds gegenüberstellt, in deren Gesellschaft Hauptmann 1897 Positano besuchte.
Der ursprüngliche Entwurf des „Zauberbergs“ als Novelle ist eines der größten Desiderate der Thomas-Mann-Forschung. Einige Umrisse lassen sich auf indirektem Wege durch die Stoffgeschichte rekonstruieren. Einen Beitrag hierzu liefert die Entdeckung, dass der Venusberg in spezifischer Verbindung mit den Hauptpersonen und einigen zentralen Motiven über eine stoffgeschichtliche Linie zum Novellen Fundus Paul Heyses zurückzuverfolgen ist.
Maxim Billers Roman „Esra“ wird seit seinem Verbot nur noch als Paradigma für die Kollision von Kunstfreiheit und Persönlichkeitsrechten wahrgenommen. Tatsächlich aber erzählt er nicht nur eine unglückliche Liebesgeschichte, sondern er bietet auch einen spezifischen Blick auf Probleme der Konstruktion kollektiver Identitäten. Dabei scheint sich anzubieten, auf die Identitäten der Figuren den Begriff der Diaspora anzuwenden oder sie als Umsetzung ‚postkolonialer‘ Konzepte wie Homi K. Bhabhas Hybridität zu beschreiben. Der Aufsatz versucht zu zeigen, dass der Roman genau solche Zuschreibungen problematisiert.
Tagungsbericht
Runde Jubiläumsgeburtstage gehören im Zeitalter der musealen und medialen Erinnerungskultur wie selbstverständlich zum Kalender des literarischen Lebens – erst recht dann, wenn ein Ereignis sich zum 400. Male jährt. Zur Wiederkehr seines Geburtstages am 5. Oktober 1609 waren deshalb dem Schriftsteller, Arzt und Orientreisenden Paul Fleming verschiedene kulturelle und wissenschaftliche Aktivitäten gewidmet, die an jenen Dichter erinnerten, dessen Werk „den ersten Höhepunkt der neuen deutschen Kunstdichtung des 17. Jahrhunderts“ darstellt.
Buchbesprechungen
Obwohl es sich bei Eberhard Werner Happel um einen der auflagenstärksten Publikumsautoren seiner Zeit handelt, wurde er als polyhistorisch ambitionierter Vielschreiber nicht nur von seinen Schriftstellerkollegen, sondern auch von der Forschung lange pauschal „unter die ‚elenden Scribenten‘“ gerechnet und daher aus dem analytischen Blickfeld weitgehend ausgeblendet.
Die Bedeutung der Wissens-, Gelehrten- oder Universitätsgeschichte ist für das Mittelalter und die Frühe Neuzeit immer noch zu entdecken. Dazu stellt der von Frank Grunert und Friedrich Vollhardt herausgegebene Sammelband nun die im 17. und 18. Jahrhundert im Aufwind stehende Historia literaria ins Zentrum.
Selbsterhaltung oder Sympathie, Machttrieb oder Mitleid, Gier, Generosität oder Dankbarkeit – Schlüsselbegriffe politischer Philosophien vom 16. bis zum frühen 19. Jahrhundert betreffen menschliche Triebe, Leidenschaften und Gefühle.
Vorgeschichte und Geschichte der Ausgabe hat Rez. in einem Forschungsbericht vorgestellt (vgl. ZfdPh 113, 1994, S. 199–224: = Fb) und über Bände berichtet, die seit 1993 erschienen sind (vgl. ZfdPh 117, 1998, S. 286–294 u. ZfdPh 119, 2000, S. 296–298). Mit dem krönenden Gesamtregister liegt „Wielands Briefwechsel“ (= WBr) nun in 20 Bänden abgeschlossen vor.
Bereits Johann Peter Eckermann hatte erkannt, wie problematisch es sein kann, sich an einer umfassenden Darstellung Goethes zu versuchen. So konnte er über den Authentizitätscharakter der von ihm zusammengestellten „Gespräche mit Goethe“ „nur in ganz bescheidenem Sinne sagen: dies ist mein Goethe“.
Die Prosa des deutschsprachigen Realismus stellt ihr ästhetisches Programm auf textueller Ebene in Frage: Die Erzählungen inszenieren die Grenzen der Wirklichkeitsdarstellung, indem sie im selbstreflexiven Gestus ihre poetischen und narrativen Schwierigkeiten kommentieren, ‚realistische‘ Referenzillusionen zu schaffen.
Der (Post-)Kolonialismus hat in der germanistischen Literaturwissenschaft, speziell derjenigen interkultureller Provenienz, offensichtlich Konjunktur. Neben teilweise eher zwei felhaften Versuchen einer gegenwartsbezogenen „Kolonisierung der Migrantenliteratur“, standen dabei bislang vor allem zwei Perioden der Literaturgeschichte im Zentrum der Analyse des Verhältnisses von Literatur und Kolonialismus.
Der Vagabund ist kein Urlauber, kein Reisender im Namen des Vergnügens. Seine Lebensart des ständigen Unterwegsseins ist vielmehr von anhaltender Unruhe geprägt; von einem Zwang, der seinem Reisen den Charakter einer fortwährenden Flucht verleiht.
Contrary to most scholarship on Franz Fühmann (1922 1984), which emphasizes the “Wandlung” and “Brüche” at the core of the East German writer’s poetics, Stephan Krause signals on the opening page of his study that he will focus on the continuity of Fühmann’s oeuvre with the humanistic tradition.
“Memory Matters” is a well-conceived and lucidly written study of a topic that continues to garner much attention in public and academic discourses, and especially in literary texts and in literary studies: memories and post-memories of Nazi-Germany and the Holocaust.
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